Schulkongress 2014

Foto: Jens Büttner
Foto: Jens Büttner

"Lernen sichtbar machen" - so lautete das Thema des zweiten Schulkongresses mit Schulmesse am 13. Dezember 2014 in der Universität Rostock, Ulmenstr. 69. Auf diesem Schulkongress hat Prof. Dr. Klaus Zierer seine Broschüre „Hattie für gestresste Lehrer“ vorgestellt und mit den über 500 Kongressteilnehmern darüber diskutiert. In verschiedenen Fachforen und  Workshops wurden dazu Erfahrungen und Anregungen ausgetauscht. Außerdem präsentierten sich Schulen aller Schularten aus Mecklenburg-Vorpommern auf der Schulmesse mit ihren Erfahrungen und Ideen.

Faltblatt zum Schulkongress
Foto: Jens Büttner
Foto: Jens Büttner

Der deutsche Hattie-Übersetzer Prof. Dr. Klaus Zierer von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg hat das Hauptreferat zum Thema „Lernen sichtbar machen“ gehalten. In Fachforen und Workshops beschäftigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beispielsweise damit, wie Schülerinnen und Schüler besser motiviert werden können, inwieweit Feedback als Instrument für die Unterrichtsentwicklung genutzt werden kann oder wann der Einsatz von Medien im Unterricht sinnvoll sein kann.
Alle Lehrerinnen und Lehrer in Mecklenburg-Vorpommern haben bereits eine komprimierte Übersicht von Hatties Forschung erhalten, um sich schnell einen fundierten Überblick über die aktuelle bildungswissenschaftliche Diskussion zu verschaffen. Diese kostenlose Publikation für Lehrkräfte von Prof. Klaus Zierer mit dem zugespitzten Titel „Hattie für gestresste Lehrer“ dient insbesondere den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kongresses als Vorbereitung.

Auf den Lehrer kommt es an

Prof. Klaus Zierer/Foto: Jens Büttner
Prof. Klaus Zierer/Foto: Jens Büttner

In der ersten Ausgabe des Schulmagazins "klasse!" ist auf Seite 48 ein Interview mit dem Erziehungswissenschaftler Professor Dr. Klaus Zierer von der Universität Oldenburg nachzulesen. Darin geht es um Fragen wie: Was macht eine gute Schule aus? Ist Sitzenbleiben pädagogisch sinnvoll? Und müssen Hausaufgaben wirklich sein?  Wir stellen es hier noch einmal zur Einstimmung auf den Schulkongress zur Verfügung.

Ein Name geht um in der Pädagogik. „John Hattie“ lautet er, ein neuseeländischer Bildungsforscher, der mit dem Buch „Lernen sichtbar machen“ auf die Frage aller Fragen der Erziehungswissenschaft die Antwort gibt: Es sind die Lehrerin und der Lehrer, die vor allem anderen eine gute Schule ausmachen und für die Qualität eines Bildungssystems stehen. Professor Dr. Klaus Zierer, der gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler Wolfgang Beywl die deutsche Fassung erarbeitet hat, gehört zu den kritischen Sympathisanten des Wissenschaftlers. Er warnt vor einem „Fast-Food-Hattie“, hält aber seine grundlegenden Erkenntnisse für wegweisend.

Interview

klasse!: Was zeichnet eine gute Schule aus?

Zierer: Da scheint mir einiges wichtig zu sein. Erstens ist sicherlich die Effektivität zu nennen: Eine Schule ist dann eine gute Schule, wenn Kinder und Jugendliche darin effektiv lernen. Dass das deutsche Schulsystem diesbezüglich im internationalen Vergleich im vorderen Drittel landet, zeigt zum Beispiel PISA. Hinzu kommen muss zweitens Freude: Eine gute Schule ist dann eine gute Schule, wenn sie von Kindern und Jugendlichen gerne besucht wird. Dass Freude und Effektivität nicht das Gleiche sind, wissen wir aus dem täglichen Leben: Erfüllte Lebenszeit muss nicht
effektiv genutzt sein und nicht jede effektiv genutzte Lebenszeit bereitet Freude…

… Effektivität und Freude lassen sich nachvollziehen. Aber was ist mit Zielen und Inhalten?

Das wäre für mich ein dritter Punkt: Unterricht findet nicht in einem luftleeren Raum statt, sondern ist eingebunden in die Gesellschaft und damit geprägt von Regeln und Ritualen, Werten und Normen. Neben den Gedanken, wie effektiv und freudvoll Schülerinnen und Schüler lernen, ist die Frage, was sie lernen, zentral: Eine Schule ist dann eine gute Schule, wenn Kinder und Jugendliche ihre Kultur kritisch-konstruktiv erleben.

Woran sich dann logischerweise die Frage anschließt, welches Wissen denn als wissenswert erachtet wird …

Richtig. Leicht ist diese Frage zu beantworten hinsichtlich Lesen, Rechnen und Schreiben sowie bestimmter fächerübergreifender Bildungs- und Erziehungsziele, wie beispielsweise Umwelterziehung, Medienerziehung, interkulturelle Erziehung und neuerdings auch Inklusion. Schwieriger wird es mit Blick auf andere Fächer.

 

Warum?

Nehmen Sie zum Beispiel Kunst, Musik und Sport: Dies sind Fächer, die im Stundentableau nur am Rand erscheinen und immer wieder um ihre Anerkennung kämpfen. Für schulischen Erfolg, gemessen an Übertrittsquoten und Abschlüssen, sind sie nahezu bedeutungslos. Ein Grund dafür ist darin zu sehen, dass diese Fächer gesamtgesellschaftlich nicht den Stellenwert haben, den beispielsweise Mathematik, Naturwissenschaften und Sprache haben. Aber für den Einzelnen und seinen Bildungsgang sind diese Fächer dennoch ausgesprochen wichtig.

Gibt es weitere Maßstäbe, an denen sich die gute Schule ablesen lässt?

Ein vierter Punkt erscheint mir noch wichtig: Schule ist kein System für sich alleine, sondern steht in Beziehung zu anderen Systemen: Gleichaltrigen, Familie, Wirtschaft, Politik, Kirche. Und all diese Systeme verfolgen unterschiedliche Ziele, die von der Schule zusammengebracht werden müssen. Konkretes Beispiel: Eine Schule muss sich daran messen lassen, wie erfolgreich sie ihre Absolventen auf die Arbeitswelt vorbereiten kann. Es geht um ein Ineinandergreifen der Systeme.

Die Strukturen, wie Bildung organisiert ist, zum Beispiel als ein- oder dreigliedriges Schulsystem, spielen keine entscheidende Rolle?

Das ist sehr zugespitzt formuliert. In Ländern, in denen Grundfaktoren, wie Finanzierung des Lehrpersonals, Sachmittel für Kinder, Sauberkeit der Schulgebäude usw., nicht gesichert sind, spielen Strukturen natürlich eine entscheidende Rolle. In allen westlichen Industrieländern und somit auch bei uns ist der Einfluss von Strukturen nicht entscheidend: Nimmt man zum Beispiel die Frage, ob durch Schulstrukturen Bildungsgerechtigkeit erzeugt werden kann, dann ist festzustellen: Egal wie das Schulsystem gegliedert ist, der sozioökonomische Status der Eltern bleibt wichtig. Oder nimmt man zum Beispiel die Frage nach der Effektivität, so zeigt sich, dass es dem dreigliedrigen System besser gelingt als der Gesamtschule, die Spitzen zu fördern. Die Gesamtschule dagegen ist aber besser in der Lage, Schwächere zu fördern. Hinzu kommt noch eine Reihe weiterer Gründe, die für oder gegen ein Schulsystem sprechen. Für keines lassen sich aber eindeutige Beweise finden, dass es besser ist als alle anderen. Vor diesem Hintergrund ist die Zuspitzung richtig: Strukturen spielen nicht die entscheidende Rolle. Letztendlich hängt es vielmehr von den Personen ab, die diese Strukturen zum Leben erwecken.

Warum ist der Lehrer so wichtig?

Den schulischen Erfolg bestimmen viele Faktoren: die Schülerin oder der Schüler, das Elternhaus, die Schule, die Lehrpläne, der Unterricht und die Lehrperson. Aber der Ort der Bildung ist der Unterricht, der in entscheidendem Maß von den Lehrpersonen bestimmt, geplant, durchgeführt wird. Insofern kommt ihnen eine tragende Rolle zu. Aber: Lernen lässt sich nicht machen und Bildung lässt sich nicht erzwingen. Lehrerinnen und Lehrer geben Hilfestellung, die von den Lernenden wahrgenommen und aufgegriffen werden muss, und über die Qualität dieser Hilfestellung kann durchaus diskutiert werden.

Und woran erkenne ich einen guten Lehrer?

Gute Lehrpersonen unterscheiden sich nicht wesentlich von guter Arbeit allgemein, die durch drei Merkmale gekennzeichnet ist: Exzellenz, Engagement und Ethik. Dabei ist es gar nicht so wichtig, was wir machen, wichtiger ist, wie wir es machen. Die Haltung ist also entscheidend! Auf Lehrerinnen und Lehrer übertragen: Ihr Handeln muss durch Fürsorge, Kontrolle und Klarheit gekennzeichnet sein und ihr Unterricht muss Herausforderungen bieten, Faszination auslösen und dabei den Meinungen der Schülerinnen und Schüler Gehör verleihen. Das führt dann zu erfolgreichem Lernen.

Sie beziehen sich in Ihren Erkenntnissen oft auf den australischen Bildungsforscher John Hattie, der seit einigen Jahren mit einer Hitliste von 138 Faktoren, die den Lernerfolg ausmachen, weltweit für Furore sorgt. Nur auf Platz 88 liegen die Hausaufgaben. Sollten diese abgeschafft werden?

So einfach kann man die Ergebnisse – auch wenn es viele Schülerinnen und Schüler freuen würde – nicht interpretieren. Hausaufgaben rangieren zwar in der hinteren Hälfte, erweisen sich aber im Sekundarbereich als äußerst hilfreich für den schulischen Lernerfolg. Diesen Effekt können sie nur erzielen, weil die mit Hausaufgaben verbundenen Wertungen und Haltungen, wie beispielsweise Sauberkeit, Verlässlichkeit und Gewissenhaftigkeit, bereits in der Primarstufe angebahnt werden.

Auf Platz 134 liegen die Sommerferien …

Gut, dass es Sommerferien gibt! Wie armselig wäre ein Schülerdasein, das nur aus Schule besteht – ohne Zeit für Freunde, für Familie, für Urlaub und auch für Langeweile. Ja, sogar Nichtstun und das Nichtstun aushalten können haben einen Bildungswert. Ganz davon abgesehen: Kein Mensch kann immer lernen – und muss es auch nicht. Wenn das ginge und zudem sinnvoll wäre, dann könnten wir auch den Samstag als schulfreien Tag wieder abschaffen …

… und auch Sitzenbleiben ist für den Bildungserfolg nicht sehr effektiv.

Stimmt, die bisherigen Studien weisen diesen negativen Effekt nach. Sie fokussieren jedoch nur auf diejenigen Schülerinnen und Schüler, die eine Klasse wiederholen, und vergleichen sie mit denen, die die Klasse nicht wiederholen. Dass Letztere mehr lernen, ist trivial. Unklar ist, was mit den „kritischen“ Kandidaten passiert, wenn das Sitzenbleiben abgeschafft werden würde. Und auch die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler findet Sitzenbleiben nicht verkehrt. Sie sehen: Das Thema ist komplex.

Wenn Sitzenbleiben lediglich heißt, ein Schüler muss die Klasse wiederholen und sehen, wo er bleibt, dann ist das definitiv zu wenig. Eine Förderung muss folgen. Diese muss in gleicher Weise folgen, wenn der betreffende Schüler nicht sitzenbleibt. Also erneut: Der Ort der Bildung ist nicht die Struktur, es ist der Unterricht.

Pressereaktionen

DPA: Schulkongress zur Unterrichtsqualität mit über 500 Teilnehmern

Foto: Jens Büttner
Foto: Jens Büttner

Rostock (dpa/mv) - Nach der Aufstockung des Schuletats strebt Bildungsminister Mathias Brodkorb (SPD) spürbare Fortschritte bei der Qualität des Unterrichts und damit höhere Lernerfolge der Schüler an.
Er spüre die Bereitschaft der Lehrer, sich der Diskussion  zu stellen und Neues auszuprobieren. «Es gibt eine große Aufgeschlossenheit und auch eine gewisse Neugier, und das stimmt mich froh. Wir haben 50 Millionen Euro zusätzlich in die Bildung gegeben. Politik und Eltern erwarten, dass sich das auch in Ergebnissen niederschlägt», sagte Brodkorb am Samstag nach dem Landesschulkongress in Rostock. Mehr als 500 Lehrer, Schulleiter und Gewerkschafter hatten dabei über Unterrichtsgestaltung und Lehrmethoden debattieren.

Im Mittelpunkt der vom Bildungsministerium initiierten Tagung standen Forschungsergebnisse des neuseeländischen Bildungsexperten John Hattie. Brodkorb hatte eine Broschüre mit dessen komprimierten Erkenntnissen erstellen und an alle 12 000 Lehrer im Land verteilen lassen. Der von ihm beauftragte Autor, Professor Klaus Zierer aus Oldenburg, erläuterte den Zuhörern im voll besetzten Audimax der Rostocker Universität die Thesen Hatties, nach dessen Überzeugung für den Lernerfolg die Leidenschaft der Pädagogen weit wichtiger ist als etwa die Klassengröße.

«Natürlich werden diese Thesen in der Lehrerschaft kontrovers diskutiert. Die Kritik an großen Klassen macht sich dabei aber weniger am Lernerfolg der Schüler, als vielmehr an den Belastungen der Lehrer fest», resümierte Brodkorb. Er stellte Änderungen bei den Stundenbudgets für große Klassen in Aussicht, um die dort unterrichtenden Pädagogen zu entlasten.

Fest eingeplant sei bereits die Einstellung von 60 zusätzlichen Vertretungslehrern. Davon würden diesmal vor allem Gymnasien profitieren. Stellen sollten bereits strategisch besetzt werden, sagte Brodkorb. Auf diese Weise könnten Pädagogen zunächst als Vertretungslehrer an die Schulen kommen, mit der Aussicht auf eine dauerhafte Anstellung im folgenden Schuljahr.

Autor: Frank Pfaff

Mit seinem Buch „Lernen sichtbar machen“ hat der Erziehungswissenschaftler John Hattie die pädagogische Welt verändert.
Es ist ein epochales Werk und elektrisiert die pädagogische Welt:
2008 veröffentlichte der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie das Buch „Visible Learning“ („Lernen sichtbar machen“, deutschsprachige Ausgabe von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer, 2013), das die zentrale Frage der Bildungsforschung beantworten wollte: Was ist guter Unterricht? Um das zu ergründen, nahm sich der Professor der University of Melbourne alle in englischer Sprache erschienenen Studien vor, die sich mit den Bedingungen schulischer Leistungen beschäftigen. Nach 15-jähriger Arbeit kam eine Synthese aus 800 Meta-Analysen heraus, die auf 50.000 Studien mit circa 250 Millionen Lernenden zurückgreift. Aus dieser weltweit größten Datenbasis zur Unterrichtsforschung extrahierte Hattie 138 Faktoren, die in unterschiedlicher Stärke eine gute Schule ausmachen. Der wichtigste Faktor: die Lehrerin, der Lehrer. Die scheinbar einfache Erkenntnis des Erziehungswissenschaftlers: Nicht Reformen, sondern der tägliche „gelebte“ Unterricht machen den Unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Schule.

„Bildung ist längst der entscheidende Indikator für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft geworden“, sagt Professor Dr. Klaus Zierer, einer der renommiertesten Erziehungswissenschaftler in Deutschland. Zierer, seit 2011 Lehrstuhlinhaber am Institut für Pädagogik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, hat sich mit seinen wissenschaftlichen Schwerpunkten Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik einen Namen als kritischer Begleiter der aktuellen Bildungsdiskussionen gemacht. Wenn Klaus Zierer über Schule, Schülerinnen und Schüler und das Lehrpersonal spricht, dann nicht nur aus universitärer Sicht, sondern auch aus dem Fundus eigener Erfahrungen: Der Wissenschaftler war von 2004 bis 2009 Grundschullehrer in Bayern.